Singen, fiedeln, dudeln oder klimpern – es gibt viele klangvolle Wörter für das Musizieren. Und alle machen sie Spaß. Sollten sie zumindest. Denn was bei vielen Kindern mit Begeisterung beginnt, wird nicht selten zum Stressfaktor in der Familie. Wie Eltern Frust vermeiden und den Spaß fördern können, hat unsere Autorin Lisa Böttcher von den Profis erfahren.
Musizieren ist in vielerlei Hinsicht förderlich. Das Spielen eines Instruments unterstützt die kognitive und motorische Entwicklung bei Kindern. Ist das Kind in seinen Bemühungen erfolgreich, sorgt das für ein starkes Selbstbewusstsein und eine verbesserte Selbstwahrnehmung. Doch was, wenn das Spielen eines Instrumentes einfach nicht gelingen will? Musizieren erfordert viel Übung und fällt nicht allen leicht. Das frustriert nicht nur die Kinder, sondern auch Eltern, die Zeit und Geld in das neue Hobby investieren. Anderswo fehlt Kindern das Interesse an Musik. Gerade klassische Musik kann abschreckend sein, denn sie wirkt oft elitär und schwer zu verstehen.
Damit das Musizieren allen Beteiligten Freude bereitet, bedarf es ehrlichem Interesse und schließlich auch Spaß an der Sache. Doch wie weckt man dieses Interesse? Und wie gelingt es Eltern, ihre Kinder ohne Druck oder Streit zum Üben zu motivieren?
Begeistern mit Livemusik
Ates Yilmaz ist Soloklarinettist und Beauftragter für Kinderkonzerte und Konzertvermittlung beim Philharmonischen Staatsorchester
Mainz. Regelmäßig besucht er mit seiner Klarinette Schulklassen. „Viele Kinder haben ja noch nie ein Instrument live gehört“, erzählt er. „Und das klingt natürlich beeindruckend. Ich kann mit der Klarinette so laut spielen, dass sie sich die Ohren zuhalten müssen oder so leise, dass sie kaum etwas hören.“ Selbst die Lehrer:innen seien erstaunt, wie schnell Ates Yilmaz und seine Klarinette die Aufmerksamkeit der Klasse sicher hätten.
„Wir hören ja ständig Musik, aber eben nie live“, erklärt er. Dabei sei das so wichtig, um Kinder für Musik zu begeistern. „So ein Orchester ist ein mächtiger Sound. Das kriegt man nicht auf CD.“ Um so vielen Kindern wie möglich Zugang zu diesem Erlebnis zu bieten, dürfen Schulklassen dem Orchester bei den Proben zusehen. Bis zu 5.000 Schüler:innen machen Yilmaz und seine Kolleg:innen so pro Saison mit der Musik vertraut. „Wenn man schon früh mit Kultur in Berührung kommt, nimmt man sie als erwachsene Person ganz anders wahr“, erklärt der Klarinettist. Deshalb sollten Eltern seiner Meinung nach so oft wie möglich mit ihren Kindern in Konzerte gehen.
„Ein Instrument zu erlernen ist Arbeit“
Das Philharmonische Staatsorchester Mainz hat regelmäßig niedrigschwellige Kinderveranstaltungen im Programm. Bei der Klangwerkstatt dürfen Neugierige im Vorfeld auch mal selbst ein Instrument austesten. „Es gibt Kinder, die nach vier oder fünf Besuchen ihr Instrument gefunden haben“, erzählt Ates Yilmaz. Das zwanglose Ausprobieren ohne Entscheidungsdruck sei eine gute Möglichkeit für Kinder, ihre Leidenschaft für ein bestimmtes Instrument zu entdecken.
Wenn diese schwierige Entscheidung getroffen ist, heißt es dranbleiben. „Eltern müssen geduldig und beharrlich sein“, findet der Konzertvermittler. „Ein Instrument zu erlernen ist viel Arbeit.“ Damit die Arbeit sich auch lohnt und das Kind beim Üben Spaß statt Zwang empfindet, können Eltern es aktiv unterstützen.
Üben ohne Stress – Tipps für Eltern
Kristin Thielemann ist Musikpädagogin und Autorin. In ihrem Podcast „Voll motiviert“ spricht sie über das Üben und Lehren von Musikinstrumenten. Eltern gibt sie einige Tipps für den Umgang mit ihren musizierenden Sprösslingen: Statt vom „Üben“ sollten Eltern lieber vom „Musizieren“ sprechen. Das klingt positiver und spannender. Gut für die Struktur sind außerdem feste Übungszeiten und ein bis zwei Jokertage pro Woche, die das Kind frei einlösen darf. Auch ein hochwertiges Instrument und Kindernoten mit Begleitaudios vereinfachen das Üben. Wer die Möglichkeit hat, sollte das Kind in einem Orchester anmelden oder gar eine Familienband gründen. Denn gemeinsam macht musizieren einfach mehr Spaß.
Es muss nicht die Blockflöte sein
Eine Alternative zu klassischer Musik und Instrumentalunterricht können popkulturelle Workshops und Projekte sein. Dirk Wenzel ist Sozialarbeiter mit dem Schwerpunkt Theater- und Medienpädagogik und tourt mit dem Hip Hop Mobil des Caritasverbands Frankfurt e.V. durch die Stadtviertel. „Die Idee ist, dass wir in die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen kommen“, erklärt er. Das Mobil kann gebucht werden. Mal steht es vor einem Jugendzentrum, mal auf einem Stadtfest. Mal bleibt Dirk Wenzel für zwei Stunden, mal mehrere Monate. Bereits Kinder ab dem Grundschulalter können an den Workshops teilnehmen. Im Angebot sind zum Beispiel DJing, Beat-Produktion, Gesang und Rap, aber auch besonders niedrigschwellige Projekte wie Hip- Hop-Karaoke.
„Die Kinder setzen sich mit sich selbst auseinander“
„Es geht mir vor allem auch um inhaltliche Themen“, erzählt der Sozialarbeiter. „Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit Freundschaft, Mobbing oder Kinderrechten.“ Denn obwohl die Hip- Hop-Kultur längst im Mainstream angekommen sei, fehle die Auseinandersetzung mit diesen wichtigen Inhalten, so Dirk Wenzel. „Die Kinder und Jugendlichen schreiben die Texte zum Großteil selbst“, erzählt der Pädagoge. „Dadurch und durch das Herumprobieren mit der Musik setzen sie sich auch mit sich selbst auseinander. Sie lernen ihre Gefühle und Grenzen zu verstehen und sie im Verhältnis zur Realität zu betrachten.“
Einfach mal machen lassen
Beim Hip Hop Mobil geht es vorrangig um den Spaß an der Sache. „Wir organisieren am Ende eines Workshops auch schon mal ein Konzert, aber wenn die Kinder zu unsicher sind, dann überlegen wir uns eine Alternative zum großen Auftritt.“ Wichtig sei, die Kinder nicht unter Druck zu setzen, sondern ihr Selbstbewusstsein zu stärken. „Man muss Ideen und Experimentierfreude zulassen“, findet Dirk Wenzel. „Wenn man Erwachsene fragt, ob sie gerne singen, hört man oft dieselbe Antwort: Nein, ich kann das nicht.“ Dabei ginge es gar nicht darum, etwas zu tun, weil man es kann. „Viele Kinder singen einfach gerne. Egal ob sie gut darin sind oder nicht.“
Einfach mal machen lassen. Ohne Perfektionismus oder Leistungsdruck. Denn Musik besteht nicht nur aus Notenblättern und langen Übungsstunden. Sie kann Spaß machen und überraschen, Emotionen hervorrufen und die Tür in eine neue Welt öffnen. Sich damit zu beschäftigen und selbst Musik – egal welcher Art – zu machen, fördert die Entwicklung der Persönlichkeit und Kreativität. Und das, so Dirk Wenzel, stehe bei ihm an oberster Stelle.
Musikangebote in der Umgebung
Klassische Kinder- & Jugendkonzerte
Viele Orchester haben ein Vermittlungsprogramm für Kinder. Dort lernen sie die Instrumente und die klassische Musik altersgerecht kennen. Neben dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz bieten auch das hr-Sinfonieorchester in Frankfurt und das Hessische Staatstheater Wiesbaden Programm für Familien und auch Schulklassen an.
Hip-Hop & Rap
Musikalische Bildung muss nicht klassisch sein. Projekte wie das Hip Hop Mobil des Caritasverbands Frankfurt e.V. und verschiedene Jugendzentren wie zum Beispiel das Frankfurter Jugendhilfezentrum Lionhof e.V. oder der Jugendtreff des PAMOJAH Hilfsprojekts in
Wiesbaden bieten Rap- oder DJing-Workshops an.
Chor & Gesang
In einem Chor zu singen, fördert das Gemeinschaftsgefühl. Viele Kirchengemeinden haben Chorangebote für Kinder-
und Jugendchöre. Häufig sind Chöre aber auch Teil von Vereinen, so zum Beispiel der Kinderchor Frankfurter Spatzen. Die Hessische Chorjugend bietet außerdem eine Übersichtsseite für Chöre in Wiesbaden.
Instrumentalunterricht
Wer eine Musikschule in der Nähe sucht, kann die Suchfunktion auf der Website vom Verband deutscher Musikschulen nutzen. Viele Musikschulen und auch einige Musikgeschäfte bieten übrigens Leihinstrumente an. Sollte sich das Kind in seiner Wahl noch nicht sicher sein oder ein Kauf finanziell nicht möglich sein, ist das eine gute Lösung.