Als ich mit meinen Töchtern in der Grundschulzeit zum Augenarzt ging, wurde bei beiden eine Weitsichtigkeit entdeckt. Heute trägt meine jüngere Tochter eine Brille, während die große darauf verzichten kann. Warum es bei Kindern gar nicht so einfach ist, die Sehfähigkeit selbst einzuschätzen, habe ich den Augenarzt Prof. Dr. med. Klaus Rüther gefragt. Der Experte vom Berufsverband der Augenärzte Deutschlands behandelt selbst viele Kinder in seiner Praxis und spricht im Interview über Kurz- und Weitsichtigkeit beim Nachwuchs.
KUCKUCK: Wie stellen Eltern fest, dass sie mit ihrem Kind in eine augenärztliche Praxis gehen sollten?
Prof. Dr. med. Klaus Rüther: Kinder teilen ihren Eltern nicht genau mit, ob sie gut sehen oder nicht. Oft sagen sie bei Erkrankungen, dass sie Bauchschmerzen haben. Dabei kann es sich um einen fiebrigen Infekt handeln. So ist es auch beim Sehen. Ständiges Augenreiben kann durch Augenerkrankungen ausgelöst werden. Wenn Kinder unruhig sind, schnell ermüden, beim Basteln häufig die Lust verlieren, können das ebenfalls Hinweise darauf sein. Unbedingt sollte eine Augenarztpraxis aufgesucht werden, wenn das Kind plötzlich schielt oder doppelt sieht, die Augen zittern oder ein Augenlid zufällt.
Wie finden Eltern einen guten Augenarzt oder eine gute Augenärztin?
Zur Behandlung von Kindern gehören immer Empathie und Erfahrung. Wenn Eltern eine Fachärztin oder -arzt suchen, können sie nachfragen, ob diese:r Kinder behandelt. Zudem arbeiten in solchen Praxen zumeist Orthoptist:innen.
Was machen Orthoptist:innen?
Diese Fachkräfte untersuchen das Zusammenspiel beider Augen, stellen Schielen oder Zittern der Augen fest und schlagen Behandlungen vor. Was fast alle kennen, ist das Abkleben von einem Auge. Das ist wichtig für die Entwicklung eines sehschwachen Auges, denn das gut sehende Auge wird zeitweise abgeklebt.
Was bedeutet Schwachsichtigkeit?
Das heißt, dass Kinder schlecht sehen, wir jedoch keine organische Ursache dafür finden. Es kann damit zusammenhängen, dass ein Auge schielt oder ein Auge besser sieht und damit das andere ausgeblendet und nicht richtig trainiert wird. Das kann auch bei unterschiedlichen Brillenstärken auf den Augen auftreten. Schwachsichtigkeit kann von Orthoptist:innen behandelt werden.
Wann sollte eine solche Behandlung erfolgen?
Kinder sollten bereits im Kindergartenalter behandelt werden, da die Mitschüler:innen ab der Grundschule meist nicht mehr so viel Verständnis dafür haben. Ab dem sechsten Lebensjahr nimmt zudem die Behandlungsfähigkeit deutlich ab.
Wie entstehen Kurz- und Weitsichtigkeit?
Augenerkrankungen sind genetisch bedingt, und dazu kommen noch äußere Einflüsse. Kinder werden meistens weitsichtig geboren und durch das Wachstum der Augen verringert sich diese im Normalfall. Kurzsichtigkeit fängt klassischerweise im Schulalter an. Wenn diese bereits vorher anfängt, ist das eine besondere Form. Diese sollte immer von einem Arzt oder einer Ärztin abgeklärt werden.
Wann sollten Eltern die Augen ihres Kindes untersuchen lassen?
Wenn in der Familie Augenerkrankungen wie Grauer Star oder starke Kurzsichtigkeit bekannt sind und diese nicht erst im Alter aufgetreten sind, dann sollten Eltern schon im ersten Lebensjahr einen Augenarzt aufsuchen. Ansonsten empfehlen wir, dass alle Kinder im Alter von 30 bis 42 Monaten von einem Augenarzt oder einer Augenärztin untersucht werden. In dieser Zeit liegt auch eine U-Untersuchung bei den Kinderärzt:innen, die Augenerkrankungen erkennen soll.
Reichen die normalen U-Untersuchungen nicht aus?
Bei diesen Untersuchungen ist es nicht möglich, nicht stark ausgeprägte Augenerkrankungen festzustellen. Der Augenarzt oder die Augenärztin kann spezielle Instrumente und für die Diagnostik notwendige Augentropfen einsetzen und damit die genaue Dioptrienzahl der benötigten Sehhilfe bestimmen, auch wenn sich Kinder noch nicht dazu äußern können.
Warum setzen Sie Augentropfen ein?
Sie erweitern die Pupille und sie lähmen die Möglichkeit, dass die Augenlinse die Dioptrienzahl ändert. Damit können wir gegebenenfalls die Brillenstärke bestimmen und das Auge genauer beurteilen, den Augenhintergrund besser sehen. Zudem setzen wir Spaltlampen ein, um das Auge zu untersuchen und den Augeninnendruck zu messen.
Wie stellen Sie aber die genaue Sehstärke fest?
Wir nutzen die Skiaskopie, auch Schattenprobe genannt. Die Kinder bekommen Tropfen, die den Ziliarmuskel ruhigstellen. So können die Kinder weder bewusst noch unbewusst ihre Augen auf die Nähe einstellen. Mit dem Skiaskop durchleuchten wir die Pupille und sehen, wie das Licht von der Netzhaut zurückgeworfen wird. So stellen wir die richtige Brillenstärke fest und brauchen nicht die Mitwirkung der Kinder. Diese Untersuchung kann neben der Kurz- und Weitsichtigkeit auch Hornhautverkrümmungen bestimmen. Zur Anwendung kommen jedoch auch sogenannte Refraktometer, die die Brillenstärke anzeigen.
Was können Eltern tun, damit sich die Augen der Kinder gesund entwickeln?
Für Groß und Klein ist es wichtig, nicht nur nah zu sehen, sondern auch in die Weite. Kurzsichtige Kinder sollten mindestens zwei Stunden im Tageslicht im Freien toben und spielen – für die Nicht-Kurzsichtigen ist das aber auch keine schlechte Idee. Wenn das unter der Woche mit den zwei Stunden nicht gelingt, kann die Familie das mit einem Wochenende in der Natur gut ausgleichen. Zugleich sollten Eltern ihre Kinder korrigieren, wenn sie Bücher oder elektronische Geräte zu nah an die Augen führen. Der Abstand sollte mindestens 30, besser jedoch 40 Zentimeter betragen.
Was ist besser: Brille oder Kontaktlinsen?
Bei starker Fehlsichtigkeit werden Kontaktlinsen bereits früh eingesetzt, sonst sind sie ab 12 Jahren zu empfehlen. Kinder müssen dafür Hygiene beachten können, damit sich die Augen nicht entzünden. Brillen sind für kleine Kinder die erste Wahl, und diese gibt es in allen Farben und Ausführungen, auch für kleine Sportler:innen besonders angepasste.
Gut zu wissen
Kinder lernen sehen
Kinder können zwar von Geburt an sehen, aber nur unscharf und vor allem Hell-Dunkel-Kontraste. Im Laufe der Zeit entwickeln sich die Sehschärfe und die Koordination zwischen beiden Augen, sodass im Alter von etwa 1 Jahr etwa 50 Prozent der normalen Sehfähigkeit entwickelt sind. Voll entwickelt ist sie im Alter von 10 bis 12 Jahren.
Kurzsichtigkeit
Wenn eine Myopie vorliegt, sieht das Auge nur Gegenstände in der Nähe scharf. Beim Blick in die Ferne entstehen unscharfe Bilder. Das liegt meistens daran, dass der Augapfel etwas zu lang ist. Ursache dafür können zu viel Aufenthalt in Innenräumen ohne Tageslicht, lang andauernde Bildschirmzeiten und häufige Smartphone-Nutzung in zu kurzen Abständen sein.
Weitsichtigkeit
Der Begriff bezeichnet die „Übersichtigkeit“, auch Hyperopie genannt, und ist die Folge eines zu kurzen Augapfels. Weitsichtigkeit ist allen Menschen angeboren, bis zum Alter von etwa 6 Jahren entwickelt sie sich zur Normalsichtigkeit. Oft bleibt Weitsichtigkeit aber auch bei Älteren unentdeckt, da die Augen die Fehlsichtigkeit ausgleichen. Weil diese Muskelarbeit zu Kopfschmerzen und anderen Beschwerden führen kann, ist es wichtig, Weitsichtigkeit früh zu erkennen.
Sehschule und Orthoptik
Diese Begriffe werden synonym benutzt, wobei die Bezeichnung „Sehschule“ veraltet ist, besonders, da hier nicht gelernt wird. Orthoptist:innen behandeln Kinder, die schielen, eine Brille benötigen, eine Schwachsichtigkeit oder ein Augenzittern aufweisen oder andere Augenkrankheiten haben. Sie behandeln aber auch Erwachsene, zum Beispiel, wenn sie doppelt sehen.
