Sie reduzieren nachweislich Stress, steigern Empathie sowie Lernmotivation und verbessern das Klassenklima – Tiere werden immer häufiger im Schulunterricht oder in Kindergärten eingesetzt. Prof. Dr. Leonina Kaestele von der Hochschule Niederrhein erklärt, worauf es bei guter tiergestützter Pädagogik ankommt.
Die Stadt Willich am Niederrhein lockt jedes Jahr zahlreiche Besucher:innen mit den Schlossfestspielen auf Schloss Neersen an. Doch die Mittelstadt im Kreis Viersen punktet noch mit einer weiteren Besonderheit: Direkt am Bio-Bauernhof Stautenhof liegt eine ganz besondere Kita – der Bauernhofkindergarten Willich. Hier dürfen die Kinder Esel, Hühner und Kleintiere beobachten und versorgen. „Das stärkt die Empathiefähigkeit“, erklärt Prof. Dr. Leonina Kaestele. Die Psychologin leitet den berufsbegleitenden Zertifikatskurs „Fachkraft für tiergestützte Therapie und Pädagogik“ an der Hochschule Niederrhein. Der Bauernhofkindergarten Willich ist einer der Praxisorte, an denen die Teilnehmenden des Lehrgangs ihre neuen Kenntnisse vertiefen.
Die Qualifikation macht den Unterschied
Tiergestützte Pädagogik umfasst alle pädagogischen Prozesse, in die Tiere eingebunden werden. Voraussetzung ist ein pädagogischer Grundberuf. Lehrer:innen oder Erzieher:innen können sich durch eine spezielle Weiterbildung für diese Tätigkeit qualifizieren. Setzen Therapeut:innen oder Ärzt:innen Tiere in Therapieprozessen ein, spricht man von tiergestützter Therapie.
Die Qualifikation macht den Unterschied und grenzt tiergestützte Pädagogik sowie Therapie von tiergestützten Aktivitäten ab. Letztere umfassen beispielsweise Angebote von Ehrenamtlichen, die ohne spezielle Ausbildung Vorlesehunde in ihre Arbeit einbinden.
Tiere wirken auf unseren Hormonhaushalt
Ob Kita-Hunde im Elementarbereich oder afrikanische Riesenschnecken in der Förderschule – tiergestützte Pädagogik findet immer häufiger Anwendung in Schulen und Kitas. Denn die positive Wirkung von Tieren auf Menschen ist wissenschaftlich belegt. „Hunde sind wie Medikamente ohne Nebenwirkungen“, sagt Prof. Kaestele und erklärt: Allein durch das Streicheln eines Hundes sinkt das Stresshormon Cortisol im Körper, der Blutdruck senkt sich, und das Bindungshormon Oxytozin wird ausgeschüttet – ähnlich wie bei Mutter und Kind während des Stillens.
Kinder entspannen sich also in der Gegenwart von Tieren. Das verbessert das Klassenklima, reduziert Unterrichtsstörungen und senkt die Lautstärke im Klassenzimmer. Expert:innen sprechen in diesem Zusammenhang von einer biosozialen Wirkung.
Tiere spiegeln das Verhalten von Kindern
Doch die Zusammenhänge sind noch komplexer, wie der sogenannte „Aschenputtel-Effekt“ zeigt: Menschen, die sich sozial benachteiligt fühlen, erfahren durch Tiere plötzlich bedingungslose Akzeptanz. Denn Tieren ist es egal, wie ein Mensch aussieht, was er oder sie kann oder besitzt. Wichtig ist nur, dass sie gut behandelt werden – und sie spiegeln dieses Verhalten unmittelbar zurück. So erkennen beispielsweise Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten durch die Reaktion der Tiere, wie ihr eigenes Verhalten wirkt und welche Bedürfnisse das Tier hat.
Ein weiterer sozialer Effekt: Kinder, die ein Haustier haben, erfahren oft mehr Anerkennung durch Gleichaltrige. Das Haustier steigert ihr Ansehen. Zudem fördern Tiere im Unterricht die Lernmotivation. So werden Hunde beispielsweise für Rechenaufgaben eingesetzt, indem sie mit ihren Pfoten einen Schaumstoffwürfel betätigen.
Und wenn Kinder Angst vor Tieren haben?
Doch wie umgehen mit Kindern, die Angst vor Hunden haben? Besonders in solchen Fällen zeigt sich die Expertise gut ausgebildeter Fachkräfte. „Hat ein Kind Angst, sollte es den Hund zunächst aus sicherer Entfernung beobachten“, empfiehlt Prof. Kaestele. Dabei können die Pädagog:innen mit den Kindern gemeinsam die Beobachtungen besprechen und einordnen. Wie bewegt der Hund seine Ohren? Welche Körpersignale sendet er? Woran erkenne ich, dass ein Hund angespannt ist? Sobald ein Kind das Verhalten eines Tieres besser versteht, fühlt es sich in seiner Gegenwart sicherer. Gelingt es einem Kind schließlich, seine Angst zu überwinden, stärkt dies seine Selbstwirksamkeit. Auch das Beobachten von schlafenden Tieren kann helfen – denn das hat nachweislich eine beruhigende Wirkung.
Nicht jeder Hund ist geeignet
Doch nicht jeder Hund eignet sich für den Einsatz in Schulen oder Kitas. „Die Tiere müssen bestimmte Merkmale erfüllen“, betont Prof. Kaestele. „Sie müssen mit Stress umgehen können und ein ruhiges, abwartendes Wesen haben.“ Auch die Hundeerziehung spielt eine große Rolle. Deshalb durchlaufen die Tiere ein spezielles Training und werden tierärztlich untersucht. Zudem müssen bestimmte Gesundheitsvorschriften und rechtliche Bedingungen erfüllt sein – dazu gehört unter anderem eine regelmäßige Wurmkur sowie eine Haftpflichtversicherung.
Die Eltern ins Boot holen
Tiergestützte Pädagogik darf in Kitas und Schulen übrigens nur mit schriftlicher Einwilligung der Eltern stattfinden. Doch nicht alle Eltern reagieren positiv auf solche Angebote. „Ablehnung hat oft mit Ängsten zu tun“, so Prof. Kaestele. Hier kann ein Elternabend helfen, auf dem fachlich fundierte Informationen über die positive Wirkung von Tieren vermittelt werden.
Infos für Kitas und Schulen:
- Das Institut für Soziales Lernen mit Tieren bietet eine „Weiterbildung zur Fachkraft für tiergestützte Interventionen" an.
- In dieser Broschüre könnt ihr euch über den berufsbegleitenden Zertifikatskurs „Fachkraft für tiergestützte Therapie und Pädagogik" an der Hochschule Niederrhein informieren.
- Drei Konsultationskindergärten in Wittlich, Kaiserslautern und Niederprüm laden Teams aus anderen Kindertagesstätten zu sich ein, um sich zu informieren und die tiergestützte Arbeit anzuschauen.